CD: Hommage à Heitor Villa-Lobos
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Veröffentlichung: 2012
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Kreusch nimmt Villa-Lobos ernst und beim Wort (…) Eine wunderschöne Veröffentlichung.
BR-Klassik
feat.:
Johannes Tonio Kreusch: Gitarre
Tracks
Heitor Villa Lobos: Preludios Para Violao (Guitarra)
01: Preludio No. 1 Andantino espressivo
02: Preludio No. 2 Andantino
03: Preludio No. 3 Andante
04: Preludio No. 4 Cantabile
05: Preludio No. 5 Poco animato
06: Simples (Mazurka)
07: Valsa (fragment)
08: Valsa concerto No. 2 (unfinished)
09: Valse-Choro
10: Etude No. 11 (1928 manuscript version)
11: Etude No. 1 Prelude (1928 manuscript version)
Tulio Peramo Cabrera: Cinco Preludios Hommenaie a Heitor villa Lobos. Dedicated to Johannes Tonio Kreusch / World Premiere Recording
12: Preludio No. 1 Moderato
13: Preludio No. 2 Molto Moderato
14: Preludio No. 3 Lento
15: Preludio No. 4 Sabroso
16: Preludio No. 5 Poco Allegro
17: Mazurka-ChoroPreludio No. 2 Molto Moderato
Kritiken
Fono Forum: 5 (von 5) Sterne Musik und 5 (von 5) Sterne Klang
Neudeutung
Es braucht nicht viel, um ein Gitarristenherz höher schlagen zu lassen: die aufsteigende Basslinie auf der A-Saite von h nach e, begleitet von dem immer gleichen rhythmisch angeschlagenen Akkord der oberen Leersaiten g, h, e. Und doch liegt in diesem kleinen sehnsüchtigen Anfang das Herz eines ganzen Kosmos. Es ist das des brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos (1887 bis 1959), dessen Faszination auf Gitarristen deshalb so stark ist, weil er so exotisch klingt, so unendlich anders als vieles, was sich an Literatur schnell im iberischen Idiom erschöpft. Heitor Villa-Lobos spielte selbst hervorragend Gitarre, seine Werke sind sozusagen direkt auf dem Griffbrett komponiert.
Und trotzdem: Für Johannes Tonio Kreusch, dem 1999 sein internationaler Durchbruch mit Werken von Villa-Lobos gelang, blieben Zweifel: „Ich hatte“, so Kreusch, „immer das Gefühl, dass in dieser Musik mehr steckt, als die bekannten Interpretationen meist präsentiert haben.“ Er besorgte sich die Originalmanuskripte, verglich sie mit den gängigen Ausgaben und stellte zahlreiche Unregelmäßigkeiten in den Abschriften fest. Hier korrigiert er die Präludien, was ungefähr den gleichen Effekt hat, als würde ein Pianist Liszts Werke in einen unbekannten Urzustand versetzen. Zwar ergeben sich keine „neuen“ Stücke, aber manche Färbung scheint jetzt plausibler. Zusätzlich sind wiederentdeckte Stücke und Fragmente zu hören. Kreusch brilliert mit warmem, rundem Ton, dehnt die Tempi, ist auf der Suche nach seiner ganz eigenen Villa-Lobos-Sprache. Er öffnet nachdenklich introspektive Perspektiven, reizt poetische Momente aus. Bei dem kubanischen Komponisten Tulio Peramo Cabrera gab er zusätzlich fünf Préludes als Hommage an Heitor Villa-Lobos in Auftrag. Sie sind mehr als ein schönes, temperamentvolles Aperçu.
(Tilman Urbach)
BR-Klassik:
Johannes Tonio Kreusch Hommage à Villa-Lobos
Heitor Villa-Lobos, 1959 in Rio de Janeiro gestorben, ist nicht nur einer der bekanntesten brasilianischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er war es, der entscheidend an der Entwicklung einer eigenständigen brasilianischen Kunstmusik mitwirkte.
Fast beängstigend produktiv hinterließ er neben zahlreichen Bearbeitungen mehr als 1.000 Kompositionen unterschiedlichster Couleur, Chorwerke, Lieder, Opern, Ballettmusik, Symphonien, Konzerte, Kammer- und Klaviermusik – ein Universalmusiker, wie sie im 20. Jahrhundert eher rar waren. Die Musik für Gitarre, die heute maßgeblich seinen Ruf prägt, macht mit rund 30 Stücken nur einen kleinen Teil seines Gesamtschaffens aus. Doch Villa-Lobos schätzte und liebte dieses Instrument. Mit ihm wurde er als Komponist groß, nachdem er sich mehr oder weniger selbst das Gitarre-Spielen beigebracht hatte.
In der Tradition Bachs
Dass er dennoch so wenig für Gitarre komponierte, könnte damit zusammen hängen, dass gerade dieses Instrument so unmittelbar mit folkloristischer Musik in Verbindung gebracht wurde und wird. Villa-Lobos aber sah sich ausdrücklich und zweifellos zu Recht gerade nicht als Folklorist, mag sein Werk auch immer wieder von volksmusikalischen Einflüssen durchsetzt sein. Für ihn waren seine Kompositionen Teil der klassischen Musik im engeren, strengen Sinn, Musik in der Tradition eines Johann Sebastian Bach, den Villa-Lobos sehr verehrte.
Die bekanntesten Werke für Gitarre, die Villa-Lobos schrieb, dürften seine 12 Etüden sein, die er in den 1920er Jahren in Paris vollendete und später Andres Segovia widmete. Kreusch hat sie vor Jahren bereits sehr überzeugend auf CD vorgelegt und lässt nun die fünf Präludien sowie einige Einzelstücke folgen, darunter auch Unvollendetes und Fragmentarisches. Außerdem spielt er die ihm gewidmeten fünf Präludien des kubanischen Komponisten Tulio Peramo Cabrera mit dem Titel „Homenaje a Heitor Villa-Lobos“.
Johannes Tonio Kreusch, einer der spannendsten und interessantesten Gitarristen unserer Zeit, studierte in Salzburg bei Eliot Fisk und an der New Yorker Juilliard School bei Sharon Isbin. Mittlerweile ist er in der ganzen Welt präsent, spielt neben dem klassischen Repertoire viel Zeitgenössisches, komponiert selber und ist auch auf dem Gebiet der improvisierten Musik und des Jazz zu Hause. In seinem Geburtsort Ottobrunn bei München rief er gemeinsam mit seinem Bruder, dem Jazz- Pianisten Cornelius Claudio Kreusch, die schönen Ottobrunner Konzerte ins Leben, die erfolgreich versuchen, neue Wege zu gehen, Ungewöhnliches zu kombinieren, den Jazz ebenso zu beheimaten wie die Klassik.
Makellos und sensibel
Seine neue CD offenbart einmal mehr Kreuschs makellose Technik – ein fantastischer Gitarrist und mindestens ebenso sehr ein enorm sensibler Musiker, der dieser Musik mit der nötigen Strenge begegnet und ganz in dem Bewusstsein spielt, dass es sich hier um anspruchsvollste klassische Kammermusik eines bedeutenden Komponisten handelt. Kreusch nimmt Villa-Lobos ernst und beim Wort, wobei ihm die ausgezeichnete Aufnahmetechnik hilft. Eine wunderschöne Veröffentlichung.
(Oswald Beaujean)
über: Hommage à Heitor Villa-Lobos
Der brasilianische Komponist Heitor Villa-Lobos ist eine wichtige Figur für die Karriere des Gitarristen Johannes Tonio Kreusch. Denn die Einspielung von dessen berühmten 12 Gitarren-Etüden bedeutete 1999 den Durchbruch für Kreusch: Einen derart leuchtenden und filigranen Villa-Lobos hatte man bis dahin nicht gehört. Hatte sich Kreusch selbst doch schon lange über die gängige Aufführungspraxis gewundert: „Ich hatte immer das Gefühl, dass in dieser Musik mehr steckt als die bekannten Interpretationen meist präsentiert haben.“ Was schlicht daran lag, dass meist nach den veröffentlichten Editionen gespielt wurde. Kreusch aber besorgte sich in detektivischer Arbeit die originalen Handschriften und entdeckte die vielen Fehler und Auslassungen im Notentext und korrigierte mit seiner CD das Villa-Lobos-Bild bis heute wegweisend. Es hatte erst jemand wie Johannes Tonio Kreusch für diese lange überfällige Korrektur und Wiederentdeckung kommen müssen: Einer, der ernsthaft und zugleich eigenwillig genug war, und auch über den Tellerrand der Gitarrenszene hinauszublicken vermochte.
(…)
„Die Idee war, nach den von mir 1999 eingespielten 12 Etüden jetzt auch den Präludien-Zyklus von Villa-Lobos in seiner ursprünglichen Manuskriptfassung, sowie einige gerade erst neu entdeckte und bisher noch nicht veröffentlichter Gitarrenwerke des Komponisten einzuspielen. Villa-Lobos Präludien werden dabei in Kontrast mit 5 Präludien gestellt, die der kubanische Komponist Tulio Peramo Cabrera für mich in Hommage an Villa-Lobos für diese Produktion geschrieben hat.“, erklärt Kreusch. Wieder machte er sich detektivisch an die Arbeit, findet vom Komponisten nachträglich überarbeitete Manuskript-Kopien, vergleicht verschiedene Fassungen und ordnet diese zeitlich den Schaffensperioden des Komponisten zu. Wer das umfangreiche Booklet – basierend auf einem noch weit umfangreicheren Vortrag – liest, der kann bereits Kreuschs Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt ermessen, die dem spielerischen Umgang mit diesen wiederum neu zu entdeckenden Werken von Heitor Villa-Lobos vorausging. Wer dann das Album hört, kann nur begeistert sein: Von der Virtuosität, von der stets substantiellen Interpretation, vom harmonischen Reichtum und von der wohlüberlegten Dynamik, mit der hier der „wahre“ Heitor Villa-Lobos erklingt, aber auch von der durch die europäische Klassik und durch moderne, manchmal fast nordamerikanisch anmutenden Klänge erweiterten Spiegelungen von Tulio Peramo Cabrera…“
Oliver Hochkeppel
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